Heute weiß man, dass jeder Trauerverarbeitungsprozess höchst individuell verläuft und zudem von vielerlei Faktoren abhängt, wie Intensität der Beziehung, Art des Todes, Resilienz des Trauernden, etc. Anstelle eines geradlinigen Ablaufs von Phasen, erleben viele Trauernde das Hin- und Herpendeln zwischen einzelnen Gemütszuständen, zwischen Trauerschmerz und Alltag. Die Annahme, dass Trauer in einer Abfolge von abgeschlossenen Phasen verläuft, gilt daher grundsätzlich als überholt.
Denn die Theorie der Trauerphasen setzt Normen und vermittelt Trauernden, Angehörigen sowie potenziell Helfenden falsche Vorstellungen davon, wie Trauer und Trauerbewältigung verlaufen oder zu verlaufen haben. Wenn man dies bedenkt, können Phasenmodelle dennoch als grobe Orientierung dienen. Schauen wir uns kurz das immer noch weit verbreitete Vier-Phasen-Modell nach Verena Kast an:
- Erste Phase: Nicht-Wahrhaben-Wollen, ein Schockzustand, der stunden- oder tagelang anhalten kann. Der**die Trauernde kann nicht fassen, was geschehen ist, fühlt sich wie erstarrt.
- Zweite Phase: aufbrechende Emotionen. Der*die Hinterbliebene wird überwältigt von Gefühlen wie Schmerz, Angst oder auch Wut und sucht verzweifelt nach einer Erklärung für den Verlust, den er*sie erleiden musste.
- Dritte Phase: Suchen und Sich-Trennen. Wenn sich die überbordenden Gefühle beruhigen, muss man sich immer wieder bewusst machen, dass es den schmerzlich vermissten Menschen nicht mehr gibt. In vielen kleinen Situationen des Alltags fühlt sich der*die Trauernde an den*die Verstorbenen erinnert.
- Vierte Phase: Herstellung eines neuen Selbst- und Weltbezugs. Erst wenn sich das Suchen abschwächt, öffnet sich der Blick für die Zukunft. Neue Lebensziele können gesetzt werden, während der*die Verstorbene trotzdem ein wichtiger Teil des Lebens bleibt.
Das Modell mag auf den ersten Blick stimmig und sinnvoll klingen. Doch wie bereits erwähnt, folgt Trauer keinem Schema. Deshalb wollen wir die zeitlich ausgerichteten Phasen durch Aufgaben ersetzen.
Jeder Trauerprozess bringt eine Reihe von Aufgaben mit sich, mit denen alle Trauernden früher oder später in unterschiedlicher Dringlichkeit und Intensität konfrontiert werden. Für uns bestehen die wesentlichen Aufgaben aus: Trauer verstehen, Funktionieren, Trauer leben, Abschied nehmen, Verbunden bleiben, Sich orientieren und Sinn finden.
Wichtig ist, dass alle Aufgaben miteinander verknüpft sind, d. h. die Bearbeitung einer Aufgabe auch immer Auswirkungen auf alle anderen Aufgaben hat und eine Chronologie dadurch obsolet wird. Wir haben unsere "Trauerbegleitung im Kartenformat" in die genannten Aufgaben gegliedert.
Trauer ist wie das Meer; sie kommt in Wellen, ebbt ab und schwillt an. Manchmal ist das Wasser still und manchmal schlagen die Wellen über deinem Kopf zusammen. Wir können nur eines tun: schwimmen lernen.
Vicki Harrison